Ja, es ist mir bekannt, Deutschlands bekanntester Astronaut, wie hieß er doch gleich, richtig: Alexander Gerst, hat es neulich im TV gesagt: Man übersteht die wochenlange Quarantäne seiner Ansicht nach am besten, wenn man sich ein wenig wie in der russischen (eigentlich jetzt „internationalen“) Raumstation ISS verhält: Morgens regelmäßig und eher früh aufstehen, einem klaren, gut strukturierten Tagesplan folgen, geduldig sein (und bleiben), die Regeln befolgen usw., usw. Ich muss sagen, das fällt mir gar nicht so schwer, ich habe mehrere kleine Aufsatzprojekte (in Co-Autorenschaft mit Mitarbeitern oder Kollegen), die kann ich jetzt voran bringen, wo ich „Dank“ Corona daran gehindert werde, mich mit anderen Dingen abzulenken. Dann sind da noch Aufgaben als Studienleiter an der VWA München, an die mich der dortige Staff, sollte ich mal säumig sein, schnell und effektiv erinnert….
Eines der Forschungsthemen, die mich seit längerem beschäftigen (und es ist wahrlich mühsam von der Stelle zu kommen), ist die Frage, ob man durch Mindestlöhne (und das interessiert dabei vor allem die Gewerkschaften) auch die Lohnquote, also formal den Anteil des Arbeitnehmerentgelts am Volkseinkommen, erhöhen oder mindestens stabilisieren kann. Der Hintergrund ist, dass die (sowohl bereinigte als auch unbereinigte) Lohnquote in den meisten OECD-Ländern schon länger unter Druck steht, also sinkt oder wenigstens nicht mehr auf alte Höhen (in Westdeutschland waren es Mitte der 1970er Jahre satte 75%!) ansteigt. Im Fachjargon: Die sogenannte „union density“ geht zurück. Bei uns haben die Gewerkschaften ihren Widerstand (wegen eines befürchteten Aufweichens der Tarifautonomie), durch die Politik festgelegte bundesweite Mindestlöhne zu akzeptieren, spätestens seit 2015 abgelegt. Seitdem haben wir einen bindenden, flächendeckenden und einheitlichen Mindestlohn. Man spekuliert, dass sie, die Gewerkschaften, sich eben von den Mindestlöhnen positive Verteilungseffekte (u. a. auch auf die Lohnquote) versprechen.
Warum ist es so schwierig, darauf eine einfache und klare Antwort zu finden? Diese Frage ist dabei noch vergleichsweise einfach: Wenn der Mindestlohn bindend ist, also den fraglichen bisherigen Durchschnittslohn etlicher Berufe übersteigt, so sollte er nicht gerade beschäftigungsaufbauend wirken. Zwar sind die Statistiken zu den Arbeitsmarkteffekten des deutschen Mindestlohns bisher eher neutral bis leicht positiv. Das führen die Arbeitsmarktexperten aber vor allem auf die bis Ende 2019 günstige Konjunktur zurück. In schlechteren Zeiten, und die sind ja nun, spätestens seit Anfang März 2020, endgültig angebrochen, wird im Niedriglohnbereich eher mit dem Wegfall von Jobs gerechnet. Der Gesamteffekt auf die Lohnsumme (dem Zähler der Lohnquote) wäre dann unbestimmt. Genauso verhält es sich mit dem Nenner: Das Produkt aus Output und Preisniveau - als Annäherung des Volkseinkommen (vgl. oben) - kann (als Nenner der Lohnquote) konstant bleiben, sinken oder sogar steigen. Nur wenn sich Zähler und Nenner der Lohnquote in unterschiedliche Richtung bewegen, lässt sich eindeutig auf die Veränderung der Lohnquote insgesamt schließen: sie steigt (fällt), wenn bei steigender (abnehmender) Lohnsumme (Zähler) die nominale Wertschöpfung (der Nenner) sinkt (zunimmt) oder konstant bleibt.
Nun lässt sich das Thema theoretisch wie empirisch angehen: Man kann nämlich zeigen, dass ein Mindestlohn, der auf unvollkommenen Arbeitsmärkten (wie Monopsonen oder Oligopsonen) eingeführt wird und etwa die Höhe des hypothetischen Marktlohns bei Konkurrenz erreicht, tendenziell die Lohnsumme deutlich erhöht (Zählereffekt). „Leider“ muss aber in der Güterebene auch mit anziehender Produktion und einem zugleich sinkenden Preisniveau gerechnet werden. Nur wenn die nominale Wertschöpfung sinkt oder wenigstens konstant bleibt (Nennereffekt, s.o.), wäre aber der Rückschluss auf eine „Verbesserung“ der Lohnquote (im Sinne der Gewerkschaften) eindeutig. Wesentlich komplexer wird das Thema immer dann, wenn auch auf der Absatzseite der Wirtschaft empfindliche Marktunvollkommenheiten vorliegen, etwa in Gestalt von Monopolen oder Oligopolen. Man kann, ja man muss dann die Marktunvollkommenheiten auf Faktor- und Absatzmarkt miteinander in der Analyse verknüpfen. Die traditionelle Verteilungstheorie hat schon lange gezeigt, dass die Reallöhne besonders leiden, wenn sowohl auf der Absatz- als auch auf der Faktorseite (Arbeitsmarkt!) Monopolisierungstendenzen vorliegen. Die „Ausbeutung“ der Arbeit (Reallohnlücke im Vergleich zu vollkommenen Märkten) gerät dabei c. p. umso größer, je kleiner die Elastizität der Nachfrage auf dem Absatzmarkt und je geringer die Elastizität des Angebots auf dem Faktormarkt ausfällt.
Was machen wir Ökonomen, wenn die theoretischen Überlegungen unübersichtlich und un-eindeutig, die Engländer und US-Amerikaner sagen so nett: „ambigous“ dazu, werden? Richtig: Wir bemühen die Empirie! Dazu braucht es ein Sample von Ländern, welche nationale Statistiken über landesweit einheitliche Mindestlöhne (und deren Veränderung) führen und ebenso regelmäßig über die Entwicklung ihrer Lohnquote berichten. Auch sonst sollte die Ländergruppe nicht zu heterogen sein. Ein Vorschlag könnte die Gruppe der 19 Teilnehmerstaaten der Eurozone sein. Das Zeitfenster kann sich allerdings erst 2015 öffnen (vorher fehlte uns ein einheitlicher Mindestlohn in Deutschland) und es muss sich vorerst 2019 schließen (nur bis Ende letzten Jahres liegen Statistiken vor).
Die Idee dahinter wäre, einen (positiven oder negativen) Zusammenhang zwischen der Veränderung der Lohnquote auf der einen und den Anhebungen (von Absenkungen ist im Zeitablauf nicht auszugehen) des Mindestlohns aufzudecken. Solche Korrelationen, wenn man sie denn findet, sind aber immer noch mit großer Vorsicht zu genießen: erstens dürfen sie nicht mit Kausalitäten verwechselt werden (auf die aber die theoretische Analyse gerade abzielt). Und zweitens kennt der Ökonometriker den Effekt im Rahmen einer multivariaten Analyse, wenn zuvor scheinbar gesicherte Korrelationen sich deutlich abschwächen, sobald weitere Variablen einbezogen werden…