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Meinungsjournalismus und Infotainment im Öffentlich Rechtlichen Deutschen Fernsehen: Grund zur Vorfreude auf den Wahlkampf?

21:45 ZDF: Marietta Slomka hat gerade die Zuschauer begrüßt. Herausfordernder Blick von unten nach oben, die Lippen bilden einen Strich, kein Wort mehr als nötig wird herausgepresst. Ein Interview mit einem Deutschen Spitzenpolitiker wird angekündigt, nach einer knappen Anmoderation. Der Interviewpartner erscheint links im Bild, rechts daneben Slomka. Die Augen von Marietta sind jetzt ganz weit geöffnet, der Kopf nach hinten geworfen, die Stimme plötzlich sonor und aggressiv. Das „Guten Abend“ an den Gast klingt wie eine Drohung, ist es auch. „Hätten Sie das nicht vorher wissen müssen? Kam Ihre Reaktion nicht viel zu spät? Musste da nicht der Koalitionspartner vorher ins Boot geholt werden? Gibt es dafür überhaupt eine Mehrheit im Bundestag? Sind Sie, bei der persönlichen Bilanz, eigentlich noch tragbar? Wären da für Sie nicht Konsequenzen angesagt, das Wort „Rücktritt“ will ich jetzt mal nicht in den Mund nehmen? Vielen Dank für das Gespräch! Gespräch? Slomka wartet bestenfalls die Hälfte der antwortenden Sätze ab, fällt dem Gast pausenlos ins Wort. Joschka Fischer wäre wohl, wenn er noch solche Interviews gäbe, einer der wenigen, der den richtigen Konter parat hätte: „Ja, Frau Slomka, für Sie zum Mitschreiben, ich bin schuld (so hatte er dem Ausschussvorsitzenden Uhl von der CSU im Untersuchungsausschuss zur sogenannten Visa-Affäre den Wind aus den Segeln genommen)! Wenn ich noch ein Amt hätte, ich würde sofort zurücktreten! Das bin ich Ihnen mindestens schuldig!“

 

Ehrlicherweise muss man sagen, dass Marietta Slomka nicht die einzige unter den „Moderierenden“ (Gruß an Dieter Nuhr) im öffentlich rechtlichen Fernsehen Deutschlands ist, die einen solchen Interviewstil pflegt. Maybrit Illner (bei ihrem Gesicht und ihrer Mimik verweilt die Kamera manchmal fassungslos, wenn sie ihren Gästen zuhört, weil es so aussieht, als würde sie ein Insekt betrachten), Anne Will und Sandra Maischberger, aber auch Klaus Kleber, Ingo Zamperoni, Christian Siewers und andere männliche Kollegen, stehen ihr kaum nach. Die Frage ist: Was für ein Ziel verfolgen eigentlich die Sendungsmacher mit solchen Interviews? Sollen die Befragten Fehler einräumen? Sollen Sie sich bußfertig und reuig zeigen oder gar (vgl. oben) am besten gleich zurücktreten/ihren Rücktritt anbieten? Was soll eigentlich dem Zuschauer vermittelt werden? Geht es um neue Informationen? Um die Gelegenheit, einen Politiker besser kennen zu lernen? Zu verstehen, wie politische Beschlüsse zustande kommen und wie schwierig es ist, sie durchzusetzen?   

Blickt man etwa auf Interviews mit Martin Schulz, Friedrich Merz, Sigmar Gabriel aus den letzten Jahren oder zuletzt mit Olaf Scholz zurück, hat man diesen Eindruck durchaus nicht. Vielleicht ist Gerhard Schröder „schuld“: In seinem berühmt/berüchtigten Auftritt in der Elefantenrunde am Abend der Bundestagswahl im September 2005 bekam er, nach einigen verbalen Entgleisungen, vom couragierten damaligen ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, zu Recht Contra. Das ist aber und kann auch nicht der Fernsehalltag sein. Wer möchte in Zukunft noch gerne in die Politik gehen, wenn er fast schon ehrabschneidende Fernsehinterviews über sich ergehen lassen muss?

Um nicht falsch verstanden zu werden: Jeder vernünftige Mensch wünscht sich (auch in Zukunft) unerschrockenen Journalismus. Dazu braucht es aber nicht einen Mindestpegel an Aggressivität und Selbstdarstellung, sondern Intellekt, Finesse und einen Schuss Selbstironie. Vorbilder gibt es im Deutschen Fernsehen zu Hauf. Ich denke an Wolf von Lojewski und seine humorvoll-süffisanten Fragen im Heute-Journal, an Günter Gaus (bevor er Politiker auf dem Weg zur Deutschen Einheit wurde) mit seiner atemberaubenden begrifflichen Genauigkeit und intellektuellen Schärfe in der Sendung „Zur Person“ (ARD), an einen Gerd Ruge mit seinem aufwühlenden Bericht zur Ermordung Robert Kennedys im „Weltspiegel“ Ende der 1960er Jahre (1968).

Auch ein Blick über die Grenzen hinweg hilft manchmal weiter: Sendungen wie das „Heute-Journal“ oder die „Tagesthemen“ haben sich ja ganz bewusst an Nachrichten-Sendeformaten aus den USA mit ihren legendären „Anchor-Men“ orientiert. Und diese verdanken wiederum sehr viel den frühen Meistern von Talkshows und Infotainment, wie einem Dick Cavett der 1960er und 1970er Jahre. Ich hatte selbst Gelegenheit, während der Sommerferien im Jahr  1970 mit meinen Eltern und meinem Bruder  in Lowestoft  (Suffolk, England), die damalige Dick-Cavett-Show im britischen Fernsehen (BBC) anzuschauen. Ob es sich nun um Tennessee Williams, Marlon Brando oder Edward Heath (ja, genau, der Premierminister, der das UK 1973 in die EU führte), man konnte von diesen, nicht gerade eindimensionalen Charakteren, eine Menge aus ihrem Leben und ihrer Arbeit erfahren. Dabei spielte offensichtlich eine große Rolle, dass sie sich in der Gesprächssituation mit Cavett nicht unwohl und ständig bedrängt fühlten.

Natürlich ist es nicht ganz fair, heutige deutsche Fernsehmacher mit dem legendären Dick Cavett zu vergleichen. Aber Vorbilder sind ja unter anderem deshalb Vorbilder, weil sie für sich und auch für andere Maßstäbe setzen. Einer dieser Maßstäbe lautet wohl: Fernsehen (jedenfalls das öffentlich-rechtliche) hat den Zuschauern, ihrem Informationsbedürfnis und ihrem Wunsch, an dem Zustandekommen der politischen Willensbildung teilzunehmen, zu dienen. Man würde sich deshalb für den heraufziehenden Bundestagswahlkampf 2021 erhoffen, dass wieder etwas mehr Qualitätsjournalismus Einzug in die Fernsehstudios und in die Interviews mit Politikern hält. Dafür gab und gibt es noch immer gute Vorbilder.

 

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